miércoles, 3 de junio de 2009

Reportage aus Buenos Aires: Eloísa Cartonera

Washington Cucurto und Javier Barilaro möchten (noch) unbekannten lateinamerikanischen Autoren die Gelegenheit bieten, ihre Werke zu veröffentlichen. Gleichzeitig geben sie Leuten Arbeit, die sonst vom Sammeln von Altpapier, Altkleidern oder Altglas leben. Reich wird man dabei nicht. Doch die Produktion der Bücher dient einer guten Sache.

Im Dezember 2001 erlebte das argentinische Finanzsystem einen Kollaps. Denn das Land konnte seine Auslandsschulden nicht mehr bezahlen. Viele Menschen verloren daraufhin ihre gesamten Ersparnisse, ihre Arbeit und in den schlimmsten Fällen sogar ihre Wohnung. Die Krise hatte sich aber bereits seit der Jahrtausendwende angekündigt. Und die Medien prophezeiten dem Land mit dramatischen Schlagzeilen die wirtschaftliche und soziale Katastrophe an. Fast die Hälfte der 37 Millionen Einwohner veramten. Das Geld reichte weder für Lebensmittel noch für Strom, Miete, Gas oder Wasser. Kinder starben an Unterernähung.

Argentinier halfen sich gegenseitig
Die Situation spitzte sich zu. So kam es am 19. Dezember 2001 zu einem Volksaufstand:Demonstrationszüge stömten zur Plaza de Mayo. Hier steht die Casa Rosada, der Präsidentenpalast. Supermärkte und Geschäfte wurden geplündert. Daraufhin versuchten Arbeitslose mit Tauschgeschäften über die Runden zu kommen. Millionen Arbeitslose und Unterbeschäftigte tauschten alle nur denkbaren Güter und Waren in Sporthallen, unter freiem Himmel, in Kirchen, in leer stehenden Gebäuden.
Die Leute hielten zusammen und hielten somit die Gesellschaft zusammen. Es gab und gibt unendlich viele Formen der Solidarität, die dazu beitrugen, dass Argentinien als Gesellschaft nicht zusammenbrach. Viele haben sich bis heute gehalten.

Vom Karton aufs Buch gekommen
In einem kleinen Ladenlokal im Stadtteil Almagro von Buenos Aires schneidet Enrique Portillo alte Pappen auf eine einheitliche Größe zurecht. Dreißig bis vierzig dieser Kartons schafft er etwa am Tag. Langeweile kommt dabei nicht auf, trotz der eher eintönigen Tätigkeit.
Das liegt wohl an der hohen Motivation, die er für seine Arbeit hat, denn zum ersten Mal in seinem Leben arbeitet Enrique nicht nur des Geldes wegen, sondern auch für einen sinnvollen Zweck.
"Eloisa Cartonera" heißt das Projekt, bei dem er vor sechs Monaten angestellt wurde. "Cartoneros" werden in Argentinien die Sammler von Plastik, Altpapier und Papp-Kartons genannt, die versuchen, sich damit ein Auskommen zu finanzieren.
"Eloisa" ist schlicht ein weiblicher Vorname. Wie dieser mit ins Spiel geraten ist, ist das Geheimnis der beiden Gründer des Projektes. Der eine heißt Javier Barilaro und ist bildender Künstler, der andere Wáshington Cucurto und ist Dichter. Die beiden besaßen zusammen einen unabhängigen Verlag. Nachdem sich nach der Krise von 2001 die Straßen mit Cartoneros füllten, beschlossen sie, fortan mit diesen zusammenzuarbeiten. Die Idee war, ein wenig zu ihrer Integration beizutragen und gleichzeitig lebhafte Kunst zu produzieren.

Liebhaberstücke für wenig Geld
Eloisa Cartonera hat seit der Gründung im März 2003 insgesamt 85 Titel veröffentlicht. Die Auflagen sind schon aufgrund der Herstellungsweise eher gering, aber für einen Preis von 5 Pesos (umgerechnet etwa 1 Euro 50) gibt es für die Bücher nicht nur Käufer in Argentinien, sondern auch in Chile oder Perú. Gekauft werden sie einmal als Liebhaberstücke, zum anderen wegen der guten Sache, aber auch wegen der Texte, die da zwischen den bunten Pappdeckeln zu finden sind.
"La casa de cartón", des peruanischen Schriftstellers Martín Adán aus den 20er Jahren wurde noch nie außerhalb seines Landes veröffentlicht. Es ist ein Kult-Buch, das sehr wenige kannten. Als es von Eloisa Cartonera herausgebracht wurde, haben alle gemerkt, wie wertvoll es ist. Es ist noch heute Avantgarde, 80 Jahre danach.
Viel Geld wirft das Projekt für die Beteiligten nicht ab. Was hereinkommt, geht meist für die laufenden Kosten drauf. Enrique bekommt für seine Zuschneidearbeit einen Lohn. Mit 17 Jahren wohnt er noch bei seiner Mutter. Die Schule hat er abgebrochen und zwischendurch am Bau gearbeitet. Nun hat er es mit Literatur zu tun und auch ein Interesse dafür entwickelt, was zwischen den von ihm produzierten Deckeln zu lesen ist.

Martin Ebbing

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