Lesen erweitert bekanntlich den Horizont, und nach der Leipziger Buchmesse bietet sich deshalb ein Blick über den nationalen Buchdeckel hinweg nach Argentinien an.
Das Land der Gauchos und Steaks hat literarisch weit mehr zu bieten als Jorge Luis Borges und Julio Cortázar. 2010 ist die Heimat des Tango Gastland der Frankfurter Buchmesse. Einen Namen sollten Leser sich auf jeden Fall merken: Washington Cucurto. Der argentinische Skandalautor hat in den vergangenen Jahren am Rio de la Plata immer wieder für Furore gesorgt. Die Urteile über seine Arbeit könnten dabei gegensätzlicher kaum sein. Dank eines Stipendiums ist Cucurto auch oft in Deutschland, so von Juli an für Lesungen in Stuttgart und Berlin.
Sex und Cumbia (lateinamerikanische Tanzmusik) prägen die Welt in Cucurtos Romanen, deren Sprache von Straßenjargon durchzogen und mit Wortschöpfungen gespickt ist. Inspiration findet der 35-Jährige, der unter seinem Geburtsnamen Santiago Vega in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, in seiner Vergangenheit. In jungen Jahren kam er nach Buenos Aires, schlug sich als Regalauffüller in Supermärkten durch und traf irgendwann auf den Literatenkreis «18 Whiskys» mit den bekannten Autoren Fabián Casas und Daniel Durand.
Sie tauften ihn Washington Cucurto, heute ist er einer der umstrittensten Autoren des südamerikanischen Landes. Cucurto erschreckt die Kritiker immer wieder, indem er behauptet, bei seinen Arbeiten handele es sich gar nicht um richtige Literatur. Er schreibe aus reinem Vergnügen. Was dabei herauskommt, empfinden manche als erfrischend neu, andere jedoch als ungenießbar: «Dicke, perverse Verkäufer, die ihre Töchter feilbieten, als wären sie Unterwäsche. (Slips, Socken, Hemdchen, Spaghettiträgertops. Holen sich darauf einen runter.)», heißt es etwa in «Hatuchay», einem seiner Werke.
Aus Protest verbrannte eine öffentliche Bibliothek Ausgaben seines Gedichtbandes «Zelarayán» auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude. Die Arbeiten seien ausländerfeindlich und pornografisch, beklagen Kritiker. Sein Buch «Cosa de negros» wurde indes von der Zeitung «Página12» zum besten Buch des Jahres 2003 gekürt.
Cucurto gilt als Hauptvertreter des «realismo atolondrado», einer literarischen Strömung, die Gosse, Kultur, Cumbia und vieles mehr miteinander vermengt. Seine Texte seien viel näher an Comics und Fernsehen als an Literatur, sagt der Autor selbst. So ist Cucurto für die einen ein untalentierter Schandfleck auf der argentinischen Literaturweste, für die anderen ein Kultautor.
Was vielen allerdings nicht mehr egal ist und immer mehr Interesse weckt, sind Cucurtos Verlagskooperative «Eloisa Cartonera» und die Bücher der lateinamerikanischen Literaturavantgarde, die dort veröffentlicht werden. In diesem Kunstprojekt mit sozialem Anliegen arbeiten Schriftsteller, Künstler und die «Cartoneros», die Müllsammler von Buenos Aires, zusammen. Diese erhalten nicht nur einen bescheidenen, dafür aber regelmäßigen Wochenlohn, sondern auch die Chance, einen Weg zurück in die Arbeitswelt zu finden.
«Als ich mit dem Schreiben begann, wollte ich in allem unabhängig sein: was ich schrieb, wie ich es schrieb, in der Herstellung meiner Bücher», schreibt Cucurto in der Verlagsanthologie «No hay cuchillo sin rosas», die kürzlich in Deutschland zweisprachig publiziert wurde. Nichtsdestotrotz veröffentlichte er aber sein jüngstes Werk «El curandero del amor» bei «Planeta», der größten Verlagsgruppe der spanischsprachigen Welt.
Kathrin Schadt
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